
„Wir stellen uns jetzt viel häufiger die Sinnfrage als früher“
09.07.2021
Florian Neumann, Geschäftsführender Gesellschafter der Stünings GmbH, spricht mit uns im Interview über die Zukunft des traditionsreichen Krefelder Medienhauses nach dem Insolvenz bedingten Neustart 2020.
Das fast 100 Jahre alte Krefelder Familienunternehmen Stünings Medien GmbH musste im vergangenen Jahr durch die Folgen der Corona-Krise Insolvenz anmelden.
Die von Florian Neumann, Tim Neumann und Ory Janßen neu gegründete „Stünings GmbH“ führt seit dem 1.1.2021 Teile des Geschäftsberiebes der alten Stünings Medien GmbH fort und fokussiert sich auf zukunftsweisende neue Bereiche.
Hinter Ihrem Krefelder Familienunternehmen liegt ein turbulentes Jahr. Was ist passiert?
Im Zuge der Coronakrise im vergangenen Jahr mussten wir leider Insolvenz in Eigenverwaltung anmelden. Wir haben vor Corona 50 Prozent unseres gesamten Umsatzes im Bereich „Druck“ und „Touristik“ gemacht. Im Printsektor haben wir sehr viele Kataloge und Prospekte für Events und Messen produziert. Dieser Markt ist im vergangenen Jahr fast vollständig eingebrochen. Wir haben sehr frühzeitig reagiert und sind die Umstrukturierung zügig angegangen. Wir haben analysiert, welche Bereiche lukrativ sind oder wieder lukrativ werden können. In der Folge haben wir uns vom Bereich „Druck“ getrennt, weil dieser eine sehr hohe Kapitalbindung hat, die Konkurrenz sehr groß ist und weil wir keine langfristige Zukunft in diesem Segment gesehen haben.
Die Neugründung hat auch einen Generationswechsel mit sich gebracht. Volker und Petra Neumann sind in den Ruhestand gegangen und mein Cousin Tim Neumann und ich führen jetzt die Geschäfte. Seit dem hat sich auch vieles in der Firmenkultur gewandelt. Wir setzten heute mehr auf digitale Prozesse, Kommunikation im Team und bieten unseren Mitarbeitern mehr Vorteile wie z.B. die 38 Stunden Woche und Remote Work an.
Mit der Stünings GmbH konzentrieren wir uns nun auf Content- und Marketingstrategien, sowie auf die Unternehmens- und Produktkommunikation. Unser Ziel ist für unsere Kunden Ideengeber und Lösungsfinder zu sein.
Was hat das Unternehmen seit seiner Gründung 1929 geprägt?
Die Stünings Medien GmbH ist 1929 von meinem Urgroßvater gegründet worden. Die Stünings Medien GmbH hat sich als Fachverlag früh auf Spartenthemen wie beispielsweise Nutzfahrzeuge spezialisiert. Sehr bald kamen Bus- und Gruppenreisen dazu. Wir hatten sehr früh eine eigene Redaktionen und haben gerne neue Technologie ausprobiert. Unsere Familie war immer sehr agil und hat versucht, sich in Nischen zu profilieren. Von der eigenen Druckerei, dem Setzen von Anzeigen bis zur hauseigenen Marketing-Agentur und Web-Development haben wir viele Entwicklungen am Markt schnell aufgegriffen. Das Credo lautete eine lange Zeit: „alles aus einer Hand“.
Was wird die Stünings GmbH zukünftig auszeichnen?
Wir fokussieren uns jetzt auf unsere Stärken als Fachverlag und als Agentur. Wir haben drei starke Marken: den „KFZ-Anzeiger“ für die Nutzfahrzeug-Branche, die „Bus-Fahrt“ für das Thema Bus- und Gruppenreisen und „MADE IN Krefeld“, ein Magazin für Standortmarketing. Im NFZ-Sektor gehören wir zu den führenden Fachmagazinen. Wir legen sehr viel Wert auf inhaltlich hochwertigen Content, den unsere eigenen Fachredakteure erstellen. Wenn etwa Daimler eine neue Zugmaschine präsentiert, wird diese von unseren Redakteuren getestet und in Fahrberichten rezensiert. Das Thema Green-Logistik wird in Zukunft ein Spezialthema bei uns werden, und wir vergeben weiterhin alle zwei Jahre einen Trailer-Innovationpreis auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA Nutzfahrzeuge) in Hannover.
Zu unserem Leistungsportfolio gehören ferner Consulting-Dienstleistungen, die Konzeption und Entwicklung von Unternehmens-, Marken- und Produktstrategien. Wir bieten mit unseren analogen und digitalen Lösungen unseren Kunden ganzheitliche Marketinglösungen an und entwickeln passende Omnichannel-Strategien.
Womit unterscheiden Sie sich von anderen Mitbewerbern im Markt?
Es kommt ganz darauf an, welchen Bereich des Unternehmens man betrachtet.
Mit unserem Produkt „DataFactory“, haben wir uns sehr frühzeitig mit strukturiertem Content, Prozessen und professionellen Produktdatenbanken beschäftigt. Unsere SaaS-Lösung bieten wir mittlerweile als günstige Cloudlösung an. Ein Mehrwert unserer Produktdatenbank ist die attraktive und intuitive Benutzeroberfläche, gekoppelt mit unserem Service, um Prozesse bei unseren Kunden noch effektiver zu gestalten. Auf diese Weise können unsere Kunden ihre Produktdaten einfach und komfortabel verwalten und verschiedenste Kanäle mit aktuellen und konsistenten Daten befüllen. Wir vertreiben die Lizenzen für 2.000 bis 10.000 Euro pro Jahr relativ kostengünstig. Zu Vergleich: Ähnliche Lösungen sind kostentechnisch schnell im hohen fünfstelligen Bereich.
Mit der „DataFactory“ können wir mit unseren Kunden datenbankgestützte Produktkataloge erstellen und befüllen parallel eine Vielzahl von Websites und E-Commerce-Systemen.
Wir sind beispielsweise schon lange in den Bereichen Arbeitsschutz, Hygiene und Industrietechnik aktiv. Für Hersteller und Händler hat sich die große Herausforderung gestellt, wie man Produktdaten untereinander austauscht. Mittlerweile arbeiten wir mit großen industriellen Verbänden an Konzepten für die Standardisierung von Produktdaten-Klassifikationen.
Welche Zukunftsthemen fordern die Kommunikationsbranche heraus?
Werbung ist in den letzten Jahren sehr in Verruf gekommen, wodurch die alten Werbeformen massiv bedroht sind. Die meisten Fachverlage haben große Probleme, Umsätze online zu generieren. Es gibt deshalb einige Dienstleistungen, die wir stark ausbauen werden. Dazu gehören Podcast- und Video, die den Kreis der Produktkommunikation im Sinne einer Multichannel-Strategie schließen. Wir wollen uns aber mittelfristig auch im Bereich der KI-Themen stärker profilieren und die Webtechnologie weiter ausbauen.
Welche Rolle spielt die Grenzregion in Ihrer Arbeit?
Aktuell hat die Grenzregion für uns noch nicht den Impact, den sie haben könnte. Der grenzüberschreitende Austausch ist noch zu gering. Das liegt an der nicht sichtbaren, leider aber vorhandenen Grenze. Es fehlen Austausch und eine Plattform dafür. Ich finde es selbstverständlich, einen Kunden oder Geschäftspartner in Münster zu besuchen, dabei wäre Venlo für mich eigentlich um die Ecke. Man weiß aber leider nicht genug über die Möglichkeiten zur Kooperation. Deshalb spricht mich das grenzüberschreitende Projekt „euregio campus“ auch so an. Ich sehe großes Potenzial in deutsch-niederländischen Kooperationen.
Was für Personal suchen Sie?
Unser Personal ist sehr vielfältig: vom klassischen Kaufmann über Designer, Anwendungsentwickler/Webentwicklern, Redakteure, Marketingexperten bis zum Projektmanager. Wir haben rund 40 hochqualifizierte Mitarbeitende. Im Zuge der Umstrukturierung haben wir ganz unterschiedliches Know-how ins Haus geholt. Wir stellen die Leute ganz bunt zusammen, damit sie sich gegenseitig optimal inspirieren können. Wir geben unseren Mitarbeitenden mittlerweile auch sehr viele Freiheiten, fordern und fördern eine kritische Auseinandersetzung.
Bewerber haben außerdem sehr unterschiedliche Erwartungen an ihren Arbeitgeber. Wir versuchen, auf die Diversität und auch die unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Mitarbeiter optimal einzugehen.
Wir suchen jedes Jahr neue Auszubildende im Bereich Medienkaufmann / Medienkauffrau Digital & Print sowie Mediengestalter / Mediengestalterin Digital & Print. Aber über Initiativbewerbungen von kreativen Menschen mit guten Ideen freuen wir uns immer. Auch der Bereich Verkauf wird stetig ausgebaut kann immer Unterstützung gebrauchen.
Was bieten Sie speziell für junge Menschen?
Wir haben Praktikanten und Auszubildende in den verschiedenen Aufgabenbereichen und finden es sehr positiv, wenn jemand mit einem frischen Blick auf unsere Arbeitsprozesse und Dienstleistungen schaut. Wir fördern junge Menschen deshalb sehr gerne als Ausbildungsbetrieb. Unserer Familie war es immer sehr wichtig auszubilden. Dadurch haben wir schon früh die Vorteile erkannt und werden dieses Jahr sogar mehr Auszubildende einstellen als letztes Jahr. Das Thema Ausbildung ist bei uns auch hoch angesiedelt und wird unter anderem von der Geschäftsführung begleitet.
Das letzte Jahr hat Sie als Unternehmer sicher auch persönlich geprägt. Haben Sie sich als als Unternehmer verändert?
Die Machtlosigkeit angesichts der Corona-Krise ist für mich eine einzigartige Erfahrung gewesen. Die Krise 2008 könnten wir auf Grund unserer unterschiedlichen Branchen gut kompensieren, aber mit so etwas wie Corona hat niemand gerechnet. Bei uns hat eine komplette Bewusstseinsveränderung stattgefunden. Wir stellen uns jetzt noch viel häufiger die Sinnfrage als früher. Corona hat uns gezeigt, dass die besten langfristigen Planungen unter Umständen nicht aufgehen. Wir haben deshalb gelernt, noch agiler zu sein und uns als Unternehmen komplett zu hinterfragen. Es geht dabei nicht nur darum, welche Investitionen oder Anschaffungen wir als Unternehmen tätigen, sondern auch die Frage nach dem sinnhaften und nachhaltigen Wert. Mit welchem Kunden oder Dienstleister wollen wir wirklich zusammenarbeiten? Was bringt das allen Parteien? Welchen nachhaltigen Effekt hat dies? (…) Dadurch sind tolle Kooperationen entstanden, an die wir vor einem Jahren noch nicht einmal gedacht haben.